Gut ausgebildete Fachkräfte, eine intakte Infrastruktur, dazu noch die unverschämt hohe Lebensqualität. Die Schweiz ist attraktiv, sowohl für die Bürgerinnen und Bürger, die hier leben – aber eben auch für Unternehmen aus dem In- und Ausland. Niemand weiss das besser als Balz Hösly. Er ist Verwaltungsratspräsident der Standort-Marketing-Organisation «Greater Zurich Area» (GZA), die sich darauf spezialisiert, internationale Firmen vom Wirtschaftsstandort Zürich zu überzeugen. Ein gutes Geschäft, die Bedingungen sind dufte. Oder etwa nicht?
Gemäss Balz Hösly ist in der Schweiz trotz den guten Rahmenbedingungen nicht alles eitel Sonnenschein. Gerade in puncto Unternehmenssteuern sieht der Strategieexperte ein, zwei Gewitterwolken aufziehen. Der Schweiz stehe am 19. Mai ein Richtungsentscheid bevor. Im Interview erklärt der GZA-Präsident, was auf dem Spiel steht.
Herr Hösly, die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit scheint, auch mit Blick auf unsere Nachbarstaaten, fast schon in Stein gemeisselt. Ist diese Wahrnehmung trügerisch?
Unsere Standortattraktivität ist nicht gottgegeben. Sie muss aktiv gepflegt und weiterentwickelt werden. Standortpolitik ist auch parteipolitisch «neutral», weil sie allen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes nützt. Andere Standorte in Europa und auf der Welt sind ebenfalls attraktiv und sie buhlen zum Teil sehr aggressiv, mit dem vollen Einsatz der jeweiligen Regierung und Anreizen, um Unternehmen.
«Es wurden einige weit fortgeschrittene Ansiedlungsprojekte pausiert oder neu gestartet.»
Bei einer Ablehnung der AHV-Steuervorlage am 19. Mai droht der Schweiz Ungemach, von einem Platz auf der Schwarzen Liste ist die Rede. Ist damit die Rechtssicherheit für Unternehmen tatsächlich in Gefahr?
Jede zusätzliche Unsicherheit ist ein Nachteil, wenn es um Standortentscheide von Unternehmen geht. Das gilt ganz besonders für eine Unsicherheit bei der Steuerbelastung, da dann der CFO keine verlässlichen Kalkulationsgrundlagen hat. Dass sich die Steuerreform schon seit Jahren hinzieht, macht es deshalb nicht einfacher. Mit einer Annahme der AHV-Steuervorlage könnte die Schweiz in einem wichtigen Bereich wieder Sicherheit und Vertrauen herstellen.
Kriegen Sie von Ihren Kunden zu hören, dass Investitionen oder Standortentscheide zurückgehalten werden, bis die Steuerpraxis angepasst wird?
Ja. Es wurden einige weit fortgeschrittene Ansiedlungsprojekte pausiert oder neu gestartet. Das hat allerdings nicht nur mit unserer eigenen Steuerreform zu tun, sondern auch mit der Scheinsicherheit der US-Steuerreform oder der von Grossbritannien in Aussicht gestellten Tiefsteuerstrategie nach einem Brexit. Ein Standortentscheid hängt nie von einem einzelnen Faktor ab.
Einige Stimmen beschreiben das bisherige Steuerregime für Unternehmen in der Schweiz mit Steuerdumping auf Kosten anderer Staaten. Was ist an diesem Vorwurf dran?
Eine Standortstrategie umfasst in allen Staaten immer auch eine Steuerstrategie. Im internationalen Kontext ist eine solche aber nur umsetzbar, wenn sie auch international akzeptiert wird – die OECD stellt die Schweizer Praxis diesbezüglich radikal in Frage. Deshalb braucht der Standort Schweiz eine neue Steuerstrategie für international tätige Unternehmen.
Die AHV-Steuervorlage zielt hier auf die Langfristigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz?
Ja, denn bei der aktuellen Vorlage geht es nicht um eine Beurteilung der Standort- und Steuerpolitik der Schweiz in der Vergangenheit. Es geht darum, die Standortattraktivität der Schweiz für die Zukunft zu sichern – mit einem Steuersystem, das gleichzeitig international akzeptiert wird und wettbewerbsfähig ist.
«Mehr Steuern als bisher zu bezahlen, ist für die meisten der bisher sonderbesteuerten Unternehmen verkraftbar – solange sie dafür Klarheit über die zukünftige Situation haben.»
Die rund 24‘000 Statusgesellschaften in der Schweiz sollen in Zukunft mehr Steuern zahlen. Ein richtiger Entscheid?
Etwas mehr Steuern als bisher zu bezahlen, ist für die meisten der bisher sonderbesteuerten Unternehmen verkraftbar – solange sie dafür Klarheit über die zukünftige Situation haben. Im internationalen Vergleich kann das Steuersystem der Schweiz auch mit der neuen Steuervorlage attraktiv bleiben. Dazu zählen neben den Unternehmensgewinnsteuern auch die Mehrwertsteuer und die Steuern für Privatpersonen.
«Die geplanten Erleichterungen für forschungsorientierte Unternehmen liegen im ureigenen Interesse der Schweiz.»
In der Debatte um die AHV-Steuervorlage ist vor allem von Holdings und Sondergesellschaften die Rede. Werden die inländischen Schweizer KMU bei der Diskussion aussen vor gelassen?
Bei der AHV-Steuervorlage geht es eben vor allem auch um die KMU, von denen viele eine starke Auslandtätigkeit haben. Auch sie sind mit ihren ausländischen Erträgen dem bisherigen Steuersystem unterworfen. Ihnen müssen wir mit einer neuen Steuerstrategie ein steuerlich attraktives Domizil sichern, damit sie hier wettbewerbsfähig arbeiten können.
Steuerabzüge sollen zum Beispiel über Forschungsinvestitionen geltend gemacht werden können. Welchen Vorteil hat dieser Faktor für die Schweizer Wirtschaft und Bevölkerung?
Die geplanten Erleichterungen für forschungsorientierte Unternehmen liegen im ureigenen Interesse der Schweiz. Sie steigern die Attraktivität für Neuansiedlungen genauso wie für Investitionen bereits ansässiger Firmen – also zusätzliche Arbeitsplätze, Forschungsprojekte mit Universitäten, Aufträge an Zulieferfirmen etc. Und zwar in einem Bereich, in dem der Mehrwert für die Schweiz besonders gross ist.
Greater Zurich Area siedelt Unternehmen aus dem Ausland im Wirtschaftsraum Zürich an. Seit 1998 kümmert sich die Organisation um das Standort-Marketing von Zürich. Ihr Kundenstamm reicht von Block-Chain-Start-Ups über Technologiekonzerne bis hin zu Pharmaunternehmen.