In der Schweiz geht immer alles nach oben. Das Matterhorn, die Turniersiege Roger Federers, der SMI, die Anzahl eingereichter Initiativen. Okay, stimmt nicht ganz. Bei GC geht’s steil bergab, die Gletscher schmelzen und auch die Zinsen sind im Keller. Doch der Schuh drückt noch anderswo.
Es geht um die AHV. Die Kasse des wichtigsten Schweizer Sozialwerks leert sich beständig und hat eine Finanzspritze dringend nötig. Letztes Jahr gab die AHV mehr Geld für Renten aus, als sie an Beiträgen eingenommen hat. Wie der Tages-Anzeiger und die NZZ schreiben, lag das Umlageergebnis um mehr als einer Milliarde Franken im Minus. Die Berichte stützen sich auf die am Montag veröffentlichen Zahlen von Compenswiss, die für die zentrale Geld- und Vermögensverwaltung der AHV, IV und EO zuständig ist.
Alterung der Gesellschaft
Hinzu kommen die Zukunftsprognosen des für die Ausgleichszahlungen zuständigen AHV-Fonds. Auch hier sind die Zahlen alles andere als rosig. Zwischen 2015 und 2040 erhöht sich die Zahl der Rentner von 1,5 auf 2,6 Millionen. Das Verhältnis von Beitragszahlern zur Anzahl Rentner wird sich damit dramatisch verschlechtern. Gab es bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 noch 6,5 Beitragszahler pro AHV-Rentner, werden es 2035, wenn ein Grossteil der «Babyboomer» pensioniert ist, gerade noch 2,3 sein.
Ein Licht am Ende des Tunnels? Fehlanzeige. Bereits 2025 beträgt das vom Bundesamt für Sozialversicherungen prognostizierte Betriebsdefizit der AHV 3 Milliarden Franken. Wenn nichts unternommen wird, ist der AHV-Fonds 2030 leer. 2035 schreibt die AHV ein voraussichtliches Betriebsdefizit von 13,7 Milliarden Franken innerhalb eines einzigen Jahres.
Was hat diese Grafik zu bedeuten?
Auf der Strasse haben wir den Bürgerinnen und Bürgern eine Skala des Bundesamts für Sozialversicherungen gezeigt, die die desolate Finanzierung des AHV-Fonds veranschaulicht. Allerdings mit ein paar Abstrichen. Zuerst wollten wir von den Spaziergängern nämlich wissen, wo sie die Grafik und den unguten Verlauf der roten Linie verorten würden. Und zwar ohne Beschriftung der X-Achse, welche die Angabe «Milliarden Franken» signalisiert.
Ob Gletscherschmelze, Goldreserven, oder die sinkende Spermienzahl im männlichen Hoden – den Spaziergängern am Bellevue fehlte es gewiss nicht an Ideen, für was das Koordinatensystem stehen könnte. Auf Anhieb allerdings denkt niemand an die AHV.
Nach dem Rätselraten, die Offenbarung. Die X-Achse der Grafik zeigt nun den Hinweis «Milliarden Franken». Zudem lüften wir das Geheimnis, das hier die Entwicklung des AHV-Fonds ohne die eigentlich so dringlichen Reformen abgebildet werde.
Das Echo: «Düster», «depressiv» oder «da müssen wir etwas machen!». Dabei ist die stetige Verschlechterung der AHV-Finanzen seit Langem absehbar. Zahlreiche Reformversuche misslangen. Die 11. AHV-Revision wurde 2004 vom Volk abgelehnt und scheiterte in einem zweiten Versuch 2010 im Parlament. Auch eine Erhöhung der AHV-Renten, wie sie die Volksinitiative «AHV Plus» forderte, ist beim Volk 2016 nicht durchgekommen. 2017 wurde schliesslich mit der «Altersvorsorge 2020» der aktuellste Reformversuch in einer Abstimmung abgelehnt.
Rentensicherheit
Trotz einer anständigen Anzahl gescheiterter Reformversuche ist die Finanzierungsproblematik der AHV folglich nach wie vor akut. Also, was tun?
Zur Sicherung der AHV-Renten auf heutigem Niveau stehen im Grunde zwei Hebel zur Verfügung: Etwa die Erhöhung des Referenzalters oder eine Zusatzfinanzierung getragen von Bund, Unternehmen und den Versicherten.
Am 19. Mai kommt eine Abstimungsvorlage an die Urne, die sich der AHV-Problematik annimmt. Wird die AHV-Steuervorlage gutgeheissen, fliessen in Zukunft jährlich zwei Milliarden Franken an den AHV-Fonds. Die Zahlungsunfähigkeit des Sozialwerks kann damit entschärft werden. Vor allem durch eine dauerhafte Erhöhung der Lohnbeiträge um 0,3 Prozentpunkte, die alle Arbeitnehmer und -geber betrifft. Es handelt sich um die erste geplante Beitragserhöhung seit 40 Jahren.
Die besagten zwei Milliarden kommen also durch Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Verhältnis 1,50 Franken pro 1000 Franken) zustande, sowie durch einen Beitrag vonseiten des Bundes in der Höhe von jährlich 800 Millionen Franken. Ein guter Deal, nicht?